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Ingenieure der Lüge, 20.01.2015

Atombombenexplosion In der Erklärung zum Unwort des Jahres 2014 heißt es:"…Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel." Wohl war.

Ein neues Beispiel dafür bot der Spiegel (vom 10.01.2015) mit seiner Erzählung von der "Syrischen Atombombe". Wie schon einmal Condoleeza Rice, damals Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten Bush, vor dem Atompilz warnte, der die nicht existierenden Massenvernichtungswaffen des Irak beweisen würde, warnt nun der Spiegel in ernsten Worten vor der "Atombombe"– Syriens: "Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste ist die Gefahr wohl größer, die Lage weit explosiver, als bisher angenommen. Die Dienste sind davon überzeugt, dass Assad seinen Plan vorantreibt, eine Bombe zu bauen."

In der Vorbereitung des Irakkrieges wurden noch Verträge gefälscht, Fakten verdreht. Wie altmodisch. Immerhin wurden auch damals schon Abhörprotokolle zwar zum Besten gegeben, die entscheidenden Sätze aber frei erfunden.

Heute spielt sich alles in einer virtuellen Realität ab, die keine technischen Erfordernisse kennt und nicht von Kriegswirren behindert wird. Mit leichter Hand und wenigen Tastaturanschlägen werden so aus 50 Tonnen Natururan 8000 Brennstäbe.

"...nach internen Recherchen der IAEA sollen in Syrien 50 Tonnen dieses Natururans existieren, bei entsprechender Anreicherung genug Material für 3 bis 5 Bomben... dort lagerte der Brennstoff in Form von 8000 Brennstäben", schreibt der Spiegel.

Nur virtuelle Brennstäbe entstehen mit ein paar Tastenklicks. Für reale Brennstäben benötigt man einen komplizierten Prozess, der nicht einfach im Keller eines Lagerhauses durchgeführt werden kann und bei dem spezifische Materialien eingesetzt werden müssen. Und auch die im Spiegel behauptete "entsprechende Anreicherung" geschieht nicht auf Tastendruck.

Dieses Material – ob nun Natururan, Brennstäbe oder nur der Fantasie des Spiegel entsprungen - wurde (von Marsch al-Sultan bei Damaskus) "mit Hilfe der Hisbolla in die Nähe der Stadt Kusair verbracht", und zwar zwischen Dezember 2012 und Februar 2013. Grund dafür: heftige Kämpfe am bisherigen Lagerort. In Kusair allerdings kamen die virtuellen Brennstäbe in Teufels Küche: Dieses Gebiet in der Nähe der libanesischen Grenze war damals noch von den Aufständischen kontrolliert und wurde erst in einer Offensive im Mai 2013 unter Kontrolle der Regierung gebracht – wie die Autoren ganz einfach im Spiegel hätten nachlesen können. Und so wurde nicht die Atomfabrik "unter großen Verlusten von Elitekämpfern der Hisbollah bewacht", sondern das gesamte Gebiet wegen seiner strategischen Bedeutung überhaupt erst erobert – wie der Spiegel noch im Mai 2013 geschrieben hatte.

Der Rest ist ein Groschenroman. Wie bei Karl May die Schurken immer genau dann ihre bösen Pläne diskutieren, wenn der Held zufällig in Hörweite versteckt lauscht, so auch in der Phantasie des Spiegel. Mit Name, Anschrift und allen Details diskutieren sie am abgehörten Telefon ihre Pläne, als hätten sie nie von NSA gehört – und als müssten sie das alles am Telefon diskutieren. Und wo der ehemalige US-Außenminister Colin Powell seinen berüchtigten Vortrag im Sicherheitsrat der UN noch mit Soundclips untermalte, gibt es jetzt nur noch Schweigen.

Nicht nur Karl May führt seine Helden rechtzeitig zu den Unterhaltungen der Schurken. Eric Ambler hat – als literarisches Experiment – einen Groschenroman geschrieben: Der dunkle Grenzbezirk. Darin beschreibt er schon 1936 den Versuch eines kleinen Staates mit einer Art Atombombe zur Großmacht aufzusteigen. Auch der Held in Amblers Roman hört rechtzeitig die Planungen der Schurken mit einem umgebauten Telefon ab. Und er findet das geheime Atomlabor, in dem er einer Stromleitung in die Berge folgt.

Wir wundern uns schon nicht mehr, dass auch der Spiegel 'Assads geheimes Atomlabor' findet, indem er einer Stromleitung in die Berge folgt: "Die Anlage verfügt über einen speziellen Zugang zum Stromnetz, das mit der nahen Stadt Blusa verbunden ist."

Wer es sich in Syrien (noch) leisten kann, überbrückt die häufigen Ausfälle der öffentlichen Stromversorgung (wegen Anschlägen auf das Stromnetz, auf Kraftwerke und Pipelines) mit privaten Notstromaggregaten. Aber Assads Atomprogramm hängt an der öffentlichen Stromversorgung in einem Kaff in den Bergen? Da würde ich mir mal keine Sorgen machen...

Eine Annäherung zwischen der Regierung der USA und der syrischen Regierung im Kampf gegen IS ist nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen. Mit Artikeln wie diesem soll die entsprechende Stimmung gegen eine derartige Annäherung gemacht werden. Nur: den Standards der Propaganda, wie sie Karl Kraus gesetzt hat - wird der Spiegel mit seinem Artikel nicht gerecht.

Ingenieure der Lüge
alles entspringt dem Papier…Die hier lügen um kein Wort mehr als für den
zu erreichenden Zweck unbedingt notwendig ist;
sie sind Ingenieure der Lüge, sie sichern durch sie
ihre Kriegs- und Lebenslüge.
Karl Kraus

The image is available from the National Nuclear Security Administration Nevada Site Office Photo Library under number XX-33
Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons



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