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Ein Jahr

20.03.2012
Das Kloster Marmusa Nach einem Jahr des Tumults, von Demonstrationen und bewaffneten Auseinandersetzungen und einem umfassenden Embargo durch den Westen scheint Syrien und seine Regierung heute fast stärker als vor einem Jahr. Die internationale Unterstützung – nicht für Assad, aber für einen Übergang, der von Syrien und in Syrien alleine entschieden wird reicht von Russland über China und Indien bis Brasilien.

Und wer Syrien etwas genauer und differenzierter betrachtet wird keinen Zweifel haben: Man muss alles daran setzen, eine libysche Entwicklung, wie sie der Westen will, zu verhindern.

Ein Jahr…

Als wir 2007 in Syrien waren, trafen wir in Deir Marmusa einige interessante junge Menschen. Während dieses letzten Jahres fragte ich mich gelegentlich, auf welcher Seite des Konflikts sie wohl stehen.

Da war eine Biologiestudentin aus Latakia. Sie schrieb ihre Diplomarbeit und erfasste in diesem Zusammenhang die Pflanzengesellschaften in den Bergen um das Kloster. Vielleicht wäre sie ja in der Opposition gegen Korruption und Vetternwirtschaft, gegen Enge und Borniertheit. Aber als moderne weltoffene Frau und Christin sicher nicht gemeinsam mit konservativen Muslimen.

Und dann war da eine Gruppe von jungen Männern, die eine Distanz gegenüber der syrischen Mainstreamgesellschaft ausstrahlten – zugegeben: mehr von mir erahnt als dass ich es wirklich wissen könnte. Zu schlecht war mein arabisch und wir waren auch nicht lange genug dort, um das wirklich beurteilen zu können.

Eine der Grundlagen des syrischen Systems ist die Idee des „Arabismus“. Die gemeinsame Tradition, Sprache, Kultur würde ein Band der arabischen Nation schaffen. Und die jungen Männer im Deir Marmusa hatten gerade von diesem Arabismus genug. Sie mokierten sich über das „ahlan wa sahlan“, engagierten sich in ihrer Subkultur - und waren auch dort geneigt, gegen Regeln zu verstoßen; z.B. gegen das Verbot, Shisha auf dem Gelände zu rauchen. Wenn man so will, äußerten sie gewisse antiautoritäre Neigungen. Diese Distanz zu überkommenen Regeln und Herrschaften, führte einige von ihnen bestimmt in die Demonstrationen, obwohl sie als Christen dem System relativ nahe waren.

Das ist alles lange her. Damals ging es um Demonstrationen gegen wirtschaftliche Not, Vetternwirtschaft, Seilschaften und Perspektivlosigkeit. Bald schlug das um in ethnische Auseinandersetzungen (in Homs seit dem Sommer 2011), persönliche Racheakte und in die Aktionen vom Ausland unterstützer Kräfte, die in einem Kleinkrieg das System zermürben sollten.

Was am Anfang, wie z.B. in Daraa, überwiegend Aktionen von lokalen Gruppen waren, die mit ihren lokalen Mitteln gegen die Sicherheitskräfte kämpften, wurde mehr und mehr zu einem Kampf von außen gegen Syrien und das bestehende System. Zunächst war das nicht so deutlich zu erkennen, mittlerweile ist das schon lange nicht mehr zu übersehen. Alle rufen dazu auf, die „Syrischen Rebellen“ mit noch mehr modernen Waffen zu versorgen, sprechen vom Bürgerkrieg aber immer noch gibt es den Mythos der friedlichen Demonstranten, die von den Sicherheitskräften umgebracht werden.

Erst vor kurzem hörte ich in Rundfunknachrichten, die syrische Armee habe Kritiker des Regimes getötet. Dabei wurden schon vor Monaten die Waffe der Kritik ersetzt durch - wirkliche Waffen und in- und ausländische Kämpfer.

Konterrevolution

Russland und China haben sich keineswegs auf eine Blockadehaltung verlegt, wie immer wieder gesagt wird. Im Gegenteil: in enger Abstimmung mit der syrischen Regierung und der arabischen Liga versuchen sie, eine Lösung zu finden, die verhindert, dass das Land in den Bürgerkrieg getrieben wird. Dazu braucht es Verhandlungen zwischen allen Beteiligten statt Waffenlieferungen an Aufständische.

Federführend bei den Waffenlieferungen und der Unterstützung für die Kämpfer ist Katar, unter Führung von Scheich Hamad ibn Dschasim ibn Dschabir Al Thani, dem Regierungschef und Außenminister. Er ist auch ein Cousin des Staatspräsidenten, Prinz Hamad bin Chalifa.

Insofern brachte das Treffen der arabischen Liga und Russlands in der letzten Woche ein unerwartes Ergebnis: Es wurde ein 5-Punkte-Plan vereinbart.

Diese Punkte würden für alle Konfliktparteien inSyrien gelten. Aber eine derartige friedliche Lösung ist nicht im Interesse der Machthaber vom Golf und niemand hätte erwartet, dass sie einer derartigen Regelung zustimmen; und so war die Welt wieder in Ordnung, als Scheich Hamad in New York erklärte, sein Land werde den Widerstand gegen Assad weiter bewaffnen – als hätte er nie von den 5 Punkten gehört.

Die Zeitung "Junge Welt" bezeichnet in einem Artikel Katar als die treibende Kraft der „arabischen Konterrevolution“

Daran ist viel Wahres; und dennoch greift es zu kurz.

Wenn wir in Tunesien und Ägypten nur die moderne säkulare Jugend gesehen haben, sagt das mehr über unsere verkürzte Wahrnehmung aus als über die Realität in Ägypten. Träger des Umsturzes in Kairo waren – nachdem sie sich erstmal dazu bekannt hatten bzw. nachdem der Druck massiv genug geworden war - auch oder vielleicht sogar hauptsächlich die konservativen Moslembrüder. Schon die Abstimmung über die Verfassungsänderung im letzten Jahr hatte gezeigt, dass die wirklich fortschrttlichen Kräfte nur einen Teil der Gesellschaft beeinflussen können. Nachdem die Entwicklung in Ägypten von der Armee in Grenzen gehalten wurde und mit der Entwicklung inLibyen bestimmen nun die Moslembrüder und die extremsten muslimischen Gruppen viel stärker das Klima der Gesellschaft in Ägypten. Sie sind aber auch Kräfte mit starker Verankerung in der Gesellschaft, deshalb möchte ich es nicht nicht als Konterrevolution bezeichnen. Sondern die Revolution war anders, als wir gedacht hatten.

Umstrukturierung

Ob der Begriff Konterrevolution trifft oder nicht: Es besteht kein Zweifel, dass Katar die treibende Kraft bei der Umstrukturierung des Nahen Ostens und Nordafrikas ist.

Mit aller Macht versucht die katarische Regierung die konservative sunnitische Bewegung in diesen Ländern zu fördern. Der Gewinn ist ein doppelter: „Demokratische Experimente“ werden beendet und in der Auseinandersetzung mit Iran um die Vorherrschaft in der Region wird versucht, die Position Irans zu schwächen.

Heute entwickelt sich das auch zu einem Konflikt zwischen den shiitischen Kräften (Irakische Regierung, Iran, Hizbolla, Syrische Regierung) und Sunna. Politische und religiöse Interessen gehen in diesem Konflikt zusammen

Syrien

In Syrien geht es heute nicht mehr um die Interessen oppositioneller Teile der Bevölkerung, wenn man von (Teilen der) Moslembrüder absieht. Syrien ist Schauplatz eines Kleinkrieges um die Vormacht in der Region.

Die Opposition in Syrien ist in sich uneins, sie verfügt über keine Vorstellung, wie es zu einem Übergang zu einer offeneren Gesellschaft kommen kann. Stattdessen macht sie die Not zur Tugend und verabschiedet sich von jeder Art von Politik: „Solange geschossen wird, reden wir mit niemandem“ ist zum Beispiel das Motto der Gruppe „Den Staat aufbauen“.

Ich habe oft den Eindruck, dass auch die chinesischen und russischen Unterhändler manchmal genug davon haben: immer wieder müssen sie versuchen, diese Oppositiospolitiker zur Politik zu tragen…

Letzten Endes ist die einzig sinnvolle Position die der BRICS-Staaten: Beide Seiten des Konflikts müssen zu einem Waffenstillstand gedrängt werden – nicht nur die syrische Armee. Und die syrische Opposition muss dazu gedrängt werden, endlich mit der Regierung zu verhandeln. Wenn sie die Unterstützung in der Gesellschaft hat, wie sie es behauptet, müsste das doch wohl möglich sein.

Interesanterweise war es bis jetzt immer die Opposition, die unterstützt vom Westen, jede politische Entwicklung verhindert hat. Die arabische Beobachtermission ist nicht von der syrischen Regierung beendet worden, sondern von den Kräften der Opposition und Katar. Und es ist die syrische Regierung, die Kofi Annan als Vermittler mit offenen Armen empfängt – nicht die Opposition.

Und die Verhandlungsbemühungen von Annan werden nicht von Syrien, Russland oder China behindert, sondern von der Opposition und dem Westen.

Deir Marmusa

Für die jungen Leute, die wir in Deir Marmusa getroffen hatten – und für ganz Syrien, gibt es zwei Perspektiven: den Bürgerkrieg, wenn Katar und die USA sich mit ihrer Politik durchsetzen oder einen langsamen Wandel zu einer offeneren Gesellschaft, wenn die Politik derBRICS-Staaten erfolgreich ist.

Ein friedlicher Wandel in Syrien, den die Syrer selbst bestimmen und in dem nicht die Moslembrüder die Macht übernehmen würden, wäre ein Vorbild für die ganze Region.

Ein solcher Übergang würde die Machthaber der Golf-Staaten – und vor allem Katar und Saudi-Arabien– ins Herz treffen. Daher ihr wütender Versuch, Syrien in den Bürgerkrieg zu treiben.



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