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Bürgerkrieg - von wegen, 19.04.2013

Bürgerkrieg - von wegen Schon lange ist es nicht mehr üblich, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Staaten mit einer offiziellen Kriegserklärung beginnen. Es ist auch nicht immer so, dass Soldaten eines Staates gegen die Soldaten eines anderen Staates kämpfen. In Afghanistan, im Irak, in anderen Ländern wurden Tausende oder Zehntausende von Söldnern (Blackwater 1)) eingesetzt, um die offizielle US-Armee zu entlasten. In Syrien ist der Krieg der Söldner zu einem Höhepunkt geführt worden. Syrer und Ausländer werden trainiert, finanziert und bewaffnet um den Krieg in die syrischen Städte zu tragen – vorerst, ohne unmittelbares Eingriffen von NATO-Truppen. Genau dies aber wird mit der weiteren Stationierung von US-Truppen in Jordanien vorbereitet.

Eine Kriegserklärunggegen Syrien allerdings hat es gegeben, und den Krieg erklärt hat H. Clinton auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit Catherine Ashton, als sie sagte:

Wer glaubt, die USA würden darauf bauen, dass Assad aus dem Tumult ungeschadet herauskommt und seine Politik der Unterdrückung fortsetzt – täuscht sich.

Assad würde den Tumult nicht überstehen und um diese Botschaft ganz klar zu machen, machte sich der US-Botschafter in Syrien im Juli 2011 auf den Weg nach Hama, um den dortigen Islamisten die Hilfe der USA zuzusagen.

Möglicherweise ist in einem staatsrechtlichen Sinne der Begriff Bürgerkrieg 2) angemessen, um das Geschehen in Syrien zu beschreiben. Aber tatsächlich ist es Krieg: bezahlt, bewaffnet, ausgerüstet und medial unterstützt durch die NATO – nur die Kämpfer, die holt man sich überwiegend aus der Region.

Krieg den Städten

"Die syrische Opposition besteht vor allem aus Sunniten" – schrieb Al-Jazeera 3) und das ist wie so häufig nur eine halbe Wahrheit.

In den arabischen Ländern finden wir moderne Mittelschichten, die in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und Lebensform westlich sein wollen, wie es Thomas Bauer 4) für die Eliten beschreibt, die sich, wenn auch mit einiger Verzögerung, an den Entwicklungen in den entwickelten Ländern orientieren und andererseits Schichten, die aus vielfältigen Gründen am Übergang von einer ländlichen und bildungsfernen Gesellschaft in eine städtische globalisierte Gesellschaft (ver)zweifeln und sich in überkommene Vorstellungen flüchten, wie es Emmanuel Todd 5) bereits 2002 beschrieben hat.

In Syrien finden wir diese Spaltung in einem Stadt-Land-Gefälle, das mit enormen sozialen, kulturellen und religiösen Unterschieden verbunden ist.

Um es ganz zugespitzt zu formulieren: Viele städtische Syrer gingen im Rahmen ihrer Ausbildung nach Europa – zum Teil gefördert vom syrischen Staat: sie mussten sich verpflichten, für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Arbeitsplatz zu arbeiten, um das Stipendium zurück zu zahlen. Viele perspektivlose junge Syrer aus ländlichen Gebieten und den Banlieus hingegen gingen für lange Zeit in die Golfstaaten und wurden dort vom Wahabismus, Salafisten und der Muslim Bruderschaft beeinflusst.

In Syrien herrscht nicht Krieg zwischen Sunniten und Alawiten, und gewiss ist es kein Krieg aller gegen Assad. Viel mehr ist es ein Krieg aus den Dörfern gegen die Städte. Schon der Kampf in Homs war kein Aufstand der Anwohner von Baba Amr – im Gegenteil, viele der Einwohner von Homs waren nach Damaskus geflohen. Stadteile von Aleppo wurden nicht von Anwohnern "befreit", vielmehr drangen Bewaffnete aus den Dörfern ein. Und dasselbe an anderen Orten.

Es ist der Kampf religiös motivierter, radikalisierter Schichten gegen Folgen einer globalisierten Modernisierung. Und Ihre Gegner sind nicht die obersten "1%" der Gesellschaft; es ist vielmehr ein Kampf einer instabil gewordenen Gesellschaft: die alten Werte gelten nicht mehr, die neuen noch nicht. Es ist ein Krieg gegen die Städte.

Aus den religiös radikalisierten Schichten, jenseits der städtischen Zentren – in Syrien, Nordafrika und selbst weit über die arabische Welt hinaus - rekrutieren sich die Kämpfer für den Krieg gegen Syrien. Dass es für manche immer noch ein Bürgerkrieg zu sein scheint, liegt nur daran, dass die Kämpfer aus Syrien leichter und schneller zum Ort des Geschehens kommen, als Kämpfer aus Tunesien, Libyen, Afghanistan Tschechtschenien oder Europa. Der Krieg wird vom Westen angeheizt, verstärkt und für seine geopolitischen Interessen ausgenutzt.

Es ist ein kulturell und politisch reaktionärer Angriff und wird in Syrien weitgehend abgelehnt 6). Das wurde z.B. in den Berichten deutlich, die die New York Times und anderen Medien zum Überfall der Bewaffneten auf Aleppo veröffentlichten. Die bewaffneten Besetzer wurden keineswegs als Befreier begrüßt.

Und auch wenn eine syrische Referentin der Kampagne "Frauen in der syrischen Revolution" von Adopt a Revolution die Besetzung der Stadt al-Raqqa als Befreiung bezeichnete: es war keineswegs eine Befreiung durch die Einwohner - sie sind vielmehr zunächst einmal geflohen, als die Bewaffneten kamen. Und kaum kamen die Bewohner zurück, kam es zu Konflikten zwischen "Befreiten und Befreiern".

Eine schweizer Zeitung schrieb kürzlich:

Grossbritannien wird versuchen, das EU-Waffenembargo gegen Syrien zu ignorieren um so Waffen an die Terroristen liefern zu können, sagt der britische Aussenminister William Hague. Die Waffen sollen einer extremistischen Gruppe zukommen die gegen Assad Kräfte kämpft und ihre Treue zu Al-Kaida geschworen hat.
http://www.schweizmagazin.ch/news/ausland/14365-Briten-wollen-syrisches-Embargo-brechen-die-Terroristen-strken.html

Die Kräfte, die gegen die Regierung kämpfen, sind reaktionäre religiöse Fanatiker, soweit sie nicht sowieso einfach Gruppen sind, die ihre Waffen auf die verschiedensten Arten zum Geldverdienst einsetzen. Sie überfallen und besetzen Kleinstädte und Stadtteile, verbarrikadieren sich in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden und wenn Sie von der Armee vertrieben sind, ist alles zerstört und sie ziehen in den nächsten Ort. Ein militärischer "Sieg" ist für diese Gruppen garnicht nötig.

Dichtung und Wahrheit

Über diesen Krieg gegen die Städte können auch diejenigen Kräfte nicht hinwegtäuschen, die im Westen als sogenannte "zivilgesellschaftliche Opposition" gelten, wie sie z.B. Von Adopt a Revolution propagiert werden. Sie stehen in Syrien am Rande des Geschehens und tun was alle Beteiligten - ob Opposition oder Regierung - tun: sie suchen sich Verbündete im Ausland.

Es gehört wohl zum guten Ton, jede Aussage und jede Erklärung, jedes Gesetz der syrischen Regierung von vornherein mit dem Etikett Ausrede, Lüge, Propaganda zu versehen. Dagegen sollen wir jedes Wort der Opposition für bare Münze nehmen.

Zum Beispiel, wenn von der syrischen Opposition der Eindruck erweckt wird, die FSA würde immer weitere Gebiete Syriens erobern – offenbar unbehindert von der syrischen Armee, die immer nur Zivilisten 7) und anderenorts ziellos Städte und Dörfer bombardiere ("Qudssaya wird wie die meisten Städte im Umland von Damaskus bombardiert")8) . Oder wenn immer wieder betont wird, man sei für eine friedliche Revolution - und doch hinzufügt: gut dass es die FSA und ihren Kampf gegen die Armee gibt 9).

Oder wie in dem Bericht "Aus der Asche – Bericht aus Qudssaya" 10). Darin wird erzählt, wie in der Stadt Qudssaya Kindern geholfen wird, mit den Traumata des Krieges fertig zu werden. Das ist eines der ganz großen und furchtbaren Probleme des Krieges.

"Aus der Asche" – so haben die AktivistInnen in Qudssaya die Ausstellung genannt, die am 18.03.2013 in einem Haus eröffnet wurde, das nach einer Bombardierung durch die Armee des Regimes komplett ausbrannte. Nach der Sanierung wurde dieses Haus für die Ausstellung der Zeichnungen von Kindern zur Verfügung gestellt. Das Projekt soll vor allem den Kindern helfen ihre Gefühle in einer geschützten Atmosphäre Ausdruck zu bringen, die ein Elternteil verloren haben.

Kindern in dieser furchtbaren Zeit zu helfen seelischen und körperlichen Verletzungen fertig zu werden ist wirklich eine der ganz großen Aufgaben in Syrien. Leider wissen " …nur eingeweihte Personen von dem Haus, da Qudssaya noch nicht befreit ist…"

Nur Eingeweihte wissen von diesem Haus. Aber jeder könnte wissen, dass nicht nur für diese wenigen Eingeweihten die Situation der Kinder ein ganz wichtiges Anliegen ist. In den syrischen Medien wird genau das zum Thema gemacht – und zwar auf sehr einfühlsame Weise. Therapeuten erklären welche Hilfe die Erwachsenen den Kindern geben können. Es gibt Treffen, in denen Kinde ihre Gefühle in einer geschützten Atmosphäre zum Ausdruck bringen können – ganz offiziell und nicht nur für Eingeweihte.

Nein - auch syrische Oppositionelle haben Interessen, suchen Verbündete, wollen einen bestimmten Eindruck erwecken, verbreiten Propaganda. Soweit sie einen Sturz des Systems durch den Westen erwarten, werden sie natürlich auch Erwartungen des Westens erfüllen wollen. Dagegen ist auch nichts zu sagen – solange wir die Aussagen von Oppositionellen kritisch prüfen und nicht von vornherein als hehre Wahrheit hinnehmen.

Blühende Landschaften

Es gibt im Englischen einen schönen Begriff: "pipe-dream" und gemeint ist die Art von Träumen, die entstehen, wenn man unter Drogen steht.

Gerade schreibt die New York Times wieder davon, die Unterstützung für die Rebellen hinge von bestimmten Bedingungen ab, sie müssten Freiheiten und Menschenrechte garantieren (U.S. Help for Syria Rebels Would Hinge on Promises…). Der pipe-dream von der Unterstützung der NATO für die "säkularen Kräfte" oder gleich NATO-Bomben selbst, die zu demokratisch blühenden Landschaften führen, hat sich schon in anderen Ländern als Alptraum erwiesen. Schlimmer: ein Alptraum, der Realität wurde - Afghanistan, Irak, Libyen, Mali, Somalia. In Syrien würde noch weit schlimmeres drohen, wenn es jetzt schon heißt (z.B. in der Neuen Züricher Zeitung 11)), dass Säkularisten und Nationalisten nur eine Minderheit der bewaffneten Opposition darstellen, dass es Dutzende Rebellengruppen unterschiedlichster Couleur gibt (nationalistisch, islamistisch, salafistisch oder jihadistisch) – aber keine sogenannte FSA. Und selbst die internationale Anti-Assad-Koalition ist zerstritten und sucht sich vor Ort passende Verbündete- oder schafft sie sich erst.

Die Bewegung in Syrien gegen die herrschenden Verhältnisse, ging von den ländlichen Gebieten (Daraa) aus. Die Unterstützung durch die USA stärkte Extremisten, die zunehmend weiter bewaffnet wurden. In den Städten dagegen zeigte sich eine klare Unterstützung für eine Politik der Modernisierung Syriens und gegen die Hardliner beider Seiten in Demonstrationen, die viel mehr den Demonstrationen vom Tahrir-Platz in Kairo ähnelten, als die Aktionen der Moslembrüder zuvor.

Syrisches Fernsehen: Demonstration für Reformen und Assad im Sommer 2011

Krieg

Heute herrscht offener Krieg. Allein soweit es die New York Times für die Lieferung mit Flugzeugen nachvollziehen konnte, wurden 2012 weit mehr als 4000 Tonnen an Waffen an die Aufständischen in Syrien geliefert. Im Frühjahr 2012 seien den Aufständischen 100 Millionen Dollar für drei Monate zugesagt worden, sagte das Mitglied des Syrischen Nationalrats, Molham al-Drobi, der New York Times im April 2012. Unmittelbare Folge: die Zahl der Todesopfer stieg mit diesen Waffen- und Geldlieferungen rapide 12) an.

Hierzulande schwer zu verstehen und doch die interessanteste Entwicklung in Syrien: Die Teile der Opposition, die mit der Regierung über Veränderungen reden, die sich sogar an Wahlen beteiligen, Wahlfälschungen offenlegen und dagegen vorgehen, sich an der Regierung beteiligen – sozusagen auf dem ‚Marsch durch die Institutionen‘.

Politische Veränderungen in Syrien erfolgen nur zögerlich, gegen viele Widerstände, viel zu langsam. Noch immer werden Menschen schneller verhaftet als freigelassen und selbst zur letzten Amnestie habe ich noch keine Zahlen. Und der sicherste Weg, um politische Veränderungen weiter aufzuhalten oder ganz zum Erliegen zu bringen sind weitere Waffenlieferungen an die Aufständischen.

Der einzige Weg für politische Veränderungen sind Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition. Stattdessen bereiten NATO und Golfstaaten einen offenen Krieg vor.

WASHINGTON — The Pentagon is sending about 200 troops to Jordan, the vanguard of a potential U.S. military force of 20,000 or more that could be deployed if the Obama administration decides to intervene in Syria
http://articles.latimes.com/2013/apr/17/world/la-fg-us-jordan-troops-20130418

1) http://de.wikipedia.org/wiki/Academi
2) Ein Bürgerkrieg ist ein bewaffneter Konflikt auf dem Gebiet eines einzigen Staates zwischen mehreren inländischen Gruppen, häufig mit Einwirkung ausländischer Mächte Schindler, in: Staatslexikon, Spalte 1050 (nach Wikipedia)
3) http://www.aljazeera.com/indepth/features/2011/09/2011923115735281764.html
4) Die Kultur der Ambiguität: Eine andere Geschichte des Islam. Verlag der Welt Religionen
5) Weltmacht USA: Ein Nachruf. München: Piper
6) Wie z.B. Karin Leukefeld immer wieder betont
7)Z.B. schon vor längerer Zeit hier: http://www.youtube.com/watch?v=dnzbzDtDji0
8)Zuletzt von Referentinen der Kampagne von Adopt a Revolution. Auf Nachfrage räumten sie ein, dass das so auch selbstverständlich nicht gemeint sei… oder hier: "Der Ort Qudssaya wird zwar vom Regime bombardiert, ist jedoch sicherer als viele Orte im Umkreis" http://ffm-online.org/2013/04/02/syrien-adoptrevolution-newsletter-02-04-2013/
9) in Stellungnahmen, wie sie immer wieder von Sprechern der 'Koordinationskomitees' abgegeben werden
10)https://www.adoptrevolution.org/bericht-aus-qudssaya-3/
11) http://www.nzz.ch/aktuell/international/ein-kampf-aller-gegen-alle-1.18065590
12Deutlich sichtbar auf einer Grphic, die während der Veranstaltung von Adopt a Revolution gezeigt wurde



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