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Syrien 2.0 ? 10.02.2013

Versöhnungskonferenz im Grand Hotel Homs Die US-Amerikanische Politik gegenüber Syrien ist in eine Krise geraten, die in öffentlichen Streitigkeiten in Senats-Anhörungen und in der Presse deutlich wird. Hätten in der Vergangenheit mehr Waffen an die Aufständischen geliefert werden sollen? Soll vielleicht doch nach einer diplomatischen Lösung gesucht werden? Inzwischen besuchen vermehrt Vertreter arabischer Gruppen, (panarabischer) Parteien und Medien syrische Regierungsvertreter. Das Ziel der US-Regierung, eine Regierung der Moslembrüder wie in Ägypten oder Tunesien nun auch in Syrien zu installieren, scheint ferne, und das anderthalb Jahrer nachdem Hillary Clinton zum Sturz von Assad aufrief.

Dem Aufruf von Clinton folgten viele Prognosen und es stellte sich heraus, dass die Halbwertszeit der Prognosen geringer war als die Ausdauer der syrischen Regierung. Im Dezember 2011 gab der israelische Verteidigungs¬minister Ehud Barak dem "Regime in Damaskus noch einen Monat, bis es kollabiere" . Im Januar 2012 hieß es in der Schweizer Wochenzeitung WOZ: "Heute ist das System von Baschar al-Assad kaum mehr in der Lage, den Zerfall aufzuhalten". Und im Weißen Haus hiess es zu dieser Zeit, Präsident Assad habe die Kontrolle über Syrien verloren und werde gehen.

Später schrieb die Wiener Zeitung "Die Staaten die ihre Diktatoren schon abgeschüttelt haben - Tunesien, Ägypten, Libyen -, sind ohnedies mit der Opposition in Syrien solidarisch... Die Luft für Assad wird immer dünner" . MaozIsrael zitierte einen übergelaufenen General mit den Worten: "Die Einheit im Militär ist ernsthaft gefährdet und könnte innerhalb der nächsten Wochen zusammenbrechen" . Die Zeit wusste, dass "Das Ende von Baschar al-Assad nahe ist ... und der verhasste Diktator froh sein kann, wenn er selbst mit dem Leben davonkommt." Und Ehud Barak wusste erneut, "dass der Sturz von Assad näher ist als je zuvor"

Im Dezember 2012 überschlugen sich die Meldungen über Assads Sturz. Skuril die Meldung von Stratfor Global Intelligence, in der es hieß, dass Assad schon nicht mehr der Herrscher über Syrien sei, sondern nur noch Herrscher über große und schlagkräftige Streitkräfte, die einen großen Teil des Landes kontrollieren.

RTL, Greenpeace, die WAZ, der Bundesnachrichtendienst, die Washington Post, der Schweizer Tagesanzeiger und der Generalsekretär der NATO – sie alle berichten vom Nahen Ende Assads und dass das Regime in Damaskus kurz vor dem Kollaps stehe. Bundesverteidigungsminister De Maizière erklärt in der Bildzeitung :"Es gibt Anzeichen dafür, dass die Opposition bald vor dem militärischen Sieg über das Regime steht".

Und gerade berichtet die New York Times, dass die Rebellen Damaskus selbst angreifen und sich nicht mehr mit einem "Vulkan Damaskus" bescheiden wie im Sommer, sondern gleich das "Jüngste Gericht" ausrufen ("in an operation that they have, perhaps immodestly, named the 'Battle of Armageddon'...")


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Viele dieser Bemerkungen sind reine Propaganda und zielen darauf ab, weitere Angehörige des Militärs und der Regierung zum Überlaufen zu bewegen, ihnen zu zeigen, dass das System keine Chance habe sondern zum Untergang verurteilt sei. Und die Propaganda vom nahen Ende Syriens wirkt zumindest im Westen deshalb so fraglos, weil ein wahrer Kern darin steckt. Selbst begrenzte Gruppen von Bewaffneten können grenzenlose Zerstörung anrichten. Und welcher Staat kann solche Auseinandersetzungen auf die Dauer aushalten?

Umstrukturierung

Es gibt das vielzitierte Konzept der USA zur Umstrukturierung des Nahen Ostens (Hier und hier). Regierungen der sunnitischen Moslembrüder sollten in Staaten mit einer konservativen, religiösen Bevölkerungsmehrheit gefördert werden und stabile Verhältnisse herstellen. Dies würde ein den Einfluss des Iran schwächen und zugleich die Stellung der extrem reaktionären Monarchien der Golfstaaten und engsten Verbündeten des Westens stärken.

Ursprünglich, d.h. nach dem arabischen Frühling und der Zerstörung Libyens schien dieses Konzept aufzugehen. Die Neuordnung des Nahen Ostens und stabile Verhältnisse im Interesse der USA – mit dem Sahnehäubchen dass dies alles im Namen einer demokratischen Umgestaltung geschehe - schien greifbar nahe. Und zu dieser Zeit deutete deutete vieles darauf hin, dass das Konzept auch in Syrien erfolgreich sein werde. Hillary Cliton erklärte im Juli 2011, dass Assad stürzen wird – und das war ja mehr eine Aufforderung zum Handeln als eine Prognose. Sie beliess es nicht bei Worten, sondern schickte den US-Botschafter in Syrien zu Verhandlungen mit den Moslembrüdern nach Hama.

Heute wird die Krise dieses Konzepts deutlich.

Auf der einen Seite zeigt sich, dass die moderne säkulare Opposition in Ägypten und Tunesien und ihr Kampf gegen die Herrschaft der Moslembrüder mehr Bedeutung hat, als ihr vielleicht rein zahlenmäßig zukommt. Im Westen wird weitgehend problemlos akzeptiert, dass die gleichen Sicherheitskräfte, die unter Mubarak gegen die säkulare Opposition und die Moslembrüder vorgingen, nun im Verein mit den Moslembrüder gegen die säkulare Opposition vorgehen – doch Stabilität sieht anders aus. Und auch wenn die jetzigen Proteste ohne unmittelbaren Erfolg bleiben: Ohne die Generation der gut gebildeten Jugend, die jetzt gegen die Moslembrüder kämpft, wird Ägypten keine Stabilität und keine Zukunft haben. Die syrische Medien nehmen inzwischen den Widerstand gegen die Moslembrüder in Ägypten und nun auch in Tunesien mit großer Freude zur Kenntnis.

Und auf der anderen Seite die Kontras der verschiedenen bewaffneten Gruppen. Zwar schaffen es unsere Medien, den Kampf gegen islamistische Milizen in Mali und die Unterstützung islamistischer Milizen in Syrien gleichzeitig zu fördern. Doch gibt es immerhin auch warnende Stimmen:

Der Chef des Niederländischen Geheimdienstes (Rob Bertholee) warnte davor, dass Dutzende niederländischer Bürger (und Hunderte aus Europa) mit den syrischen Rebellen kämpfen und kampferfahren und radikalisiert zurückkommen könnten.
http://www.huffingtonpost.com/2013/02/08/syria-military-factory-explosion_n_2645118.html

Der vormalige arabische Frühling und der Versuch der Umstrukturierung des Nahen Ostens hat nicht zu mehr Stabilität oder gar zu einer demokratischen Umgestaltung geführt sondern führt zunehmend zu mehr Chaos. Die säkularen und demokratischen Kräfte sind die Verlierer.
Die Shiiten in der Region kämpfen nach wie vor um ihre Rechte; und wenn ein Ziel der "Umstrukturierung" die Schwächung des Iran war – das ist bisher gründlich daneben gegangen.

Syrien 2.0

In ihrem lesenswerten Buch "Die Tore von Damaskus" über die Zeit nach dem Aufstand der Moslembrüder in den 80er Jahren zitiert die Autorin Lieve Joris ihre Freundin, eine unabhängige Syrerin, deren Mann als Kommunist verhaftet wurde. Hala, so heißt die Freundin, sagt:

Die sind selber alle kleine Assads. Wenn sie an die Macht gekommen wären, wer weiß, was dann passiert wäre – vielleicht etwas viel Schlimmeres als das, was wir jetzt haben.

20 Jahre später gilt umso mehr: Bashar Assad ist nicht der verhasste Diktator. Bei aller Kritik am System – in der vielfältigen syrischen Gesellschaft musste man immer auch abwägen. Sicherheit und Repression, Weltoffenheit oder dörfliche Enge, religiöse Freiheiten oder religiöse Fanatiker, Armut, Bildung, Chaos. Große Teile der syrischen Gesellschaft stellten sich die Frage: wer kann eine bessere Zukunft bieten, eine Diktatur der Moslembrüder, gestützt auf die FSA und die Dschihadisten aus aller Welt oder ein Übergang vom bisherigen System zu einem Syrien 2.0.

Mit seiner Kontaktsperre und den Sanktionen vermittelt der Westen eine ganz klare Botschaft: Mit Assad habt ihr keine Zukunft. Die syrische Regierung hingegen hat (fast) von Anfang an mit der Reform- und Gesprächsbereitschaft, mit der Änderung von Wahlrecht, Parteiengesetz und Verfassung, mit der Zustimmung zu internationalen Beobachtern der Bevölkerung signalisiert: Es gibt mit uns eine Zukunft. Wir müssen das Land nicht dem Konservatismus und der Religion der Dörfer überlassen - und auch nicht der Korruption, den Seilschaften und der Baath-Partei.

Geiselnahme

Die Krise der "Umstrukturierung" und die Möglichkeit eines Syrien 2.0 setzt die Gegner unter Druck. Moaz al-Khatib, der Präsident der syrischen Oppositionskoalition, erklärt sich unter Umständen zu Verhandlungen mit Damaskus bereit und US-Vizepräsident Biden untersützt die Initiative, der neue US-Außenminister John Kerry will die Möglichkeit prüfen, zu einer diplomatischen Lösung zu kommen.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass diese Erklärungen tatsächlich zu Ergebnissen führen werden. Schliesslich hat al-Khatib erst vor kurzem, erklärt, die USA sollten die Organisation "Nusra-Front" von ihrer Terrorliste entfernen. Überhaupt dürfte keine(!) Organisation, die gegen Assad kämpft, als terroristisch bezeichnet werden. Aber es ist bezeichnend, dass der Westen heute um Diskussionen über Verhandlungen und diplomatische Lösungen nicht herum kommt.

Wichtiger sind sowieso die Entwicklungen der Opposition in Syrien selbst. Die Opposition sagte, Gespräche dürfe es erst nach einem Ende der Gewalt geben. Da die Gewalt aber von außen angeheizt wurde, wurden damit beide Seiten zu Geiseln der Extremisten und ihrer Unterstützer am Golf und in der NATO. Diese Situation hat einen politischen Prozess weit mehr als ein Jahr aufgehalten.

Kontakte

Erste Kontakte gab es mit der Diskussion über die neue Verfassung und die Parlamentswahen im Frühjar 2012. Damals beteiligte sich die Gruppe um Ali Haidar und Quadri Jamil – wegen befürchteter Wahlfälschungen unter Vorbehalt – an den Parlamentswahlen. Beide Politiker sind heute in der Regierung vertreten.
Nach der Charme-Offensive der Regierung, beginnend mit Assads Rede im Januar, dem Aufruf zu Verhandlungen und Garantien an Oppositionspolitiker im Ausland für ihre Rückkehr und den Diskussionen um die politischen Gefangenen, hat es einige Fortschritte gegeben. Weitere Gruppen der syrischen Opposition haben sich zu Gesprächen mit der Regierung bereit gefunden, zum Beispiel die Gruppe "Dritter Weg".

Ob irgendeine der Gruppen der politischen Opposition gegenüber den bewaffneten Extremisten überhaupt noch irgendeine Rolle spielt und welche Bedeutung sie überhaupt haben, steht auf einem anderen Blatt. Die syrische Regierung jedenfalls tut alles, um den Konflikt nicht zu einem rein militärischen Konflikt zwischen Armee und Kontras werden zu lassen. Mit den permanenten Angeboten zum Dialog, den Diskussionen über die Situation der Verhafteten, den Medien ("Die meisten Oppositionellen und die meisten Unterstützer wollen das Gleiche") geht es immer auch um eine politische Umgestaltung.

Syrien 2.0 wäre keine Musterdemokratie. Viele alte Netzwerke würden weiter bestehen, Korruption und ihre Netzwerke verschwinden nicht von einem Tag auf den anderen, Sicherheitsapparate, die ihren eigenen Regeln folgen, ordnen sich nicht von heute auf morgen unter.Aber im Vergleich zu einem syrischen Mursi, der sich auf die FSA und die islamistischen Kontras stützen würde, wäre es für die meisten Syrer die bessere Alternative.

Perspektiven

Kann ein Prozess der Versöhnung auch die Gruppen erreichen, die geprägt von dörflichem Konservatismus, Armut und Religion einen wichtigen Teil der Bewaffneten darstellen? Oder werden sie zusammen mit NATO und Jihadisten aus dem Ausland Syrien zerstören?

Ich wage keine Prognose. Aber die politische Umgestaltung Syriens ist zu wichtig, als dass man sie im Feuer der Jihadisten und bewaffneten Kontras zerstören lassen dürfte.

Nur die Syrer selbst können in einem politischen Prozess über ihre Zukunft entscheiden – die erste Voraussetzung dazu ist ein Ende des Mordens und der Zerstörung der Infrastruktur. Und deshalb müssen wir ein Ende der ausländischen Unterstützung für die Aufständischen fordern: ein Ende der militärischen, finanziellen, logistischen Unterstützung, ein Ende des Trainings, der Ausrüstung und der Versorgung mit Informationen. Ohne Wenn und Aber.

Und die Ostermärsche und deren Vorbereitung werden eine gute Gelegenheit sein, die Entwicklungen in Syrien zu thematisieren.



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