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Kairo - Damaskus, 16.12.2012

Proteste in Kairo - in der syrischen Presse Bei unterschiedlichen Voraussetzungen und nach zwei Jahren unterschiedlicher Entwicklungen in Syrien und Ägypten beleuchtet die Auseinandersetzung um die ägyptische Verfassung plötzlich eine Gemeinsamkeit, die häufig übersehen wird: in beidenLändern kämpfen konservative und reaktionäre Kräfte, die die Macht ergreifen wollen. Es ist nur zum Teil der Kampf der Moslembrüder um die Macht. Es ist auch der Kampf einer überkommenen – wenn man so will: überholten – konservative ländlichen Lebensweise gegen die Auswirkungen der Globalisierung.

Die ersten Wahlergebnisse, die Ablehnung des Verfassungsentwurfs in Kairo und in der Provinz Gharbija mit ihrem industriellen Zentrum und die Zustimmung in anderen Provinzen zeigen in Ägypten ein klares Bild: Die überwiegend „modernen“ städtischen Schichten (insbesondere Kairos) lehnen die Verfassung ab. Und (wahrscheinlich) die Mehrheit des Landes ist nach wie vor konservativ und religiös orientiert, strebt nach Ruhe und Ordnung (ein Slogan der Moslembrüder seit mehr als einem Jahr) und stimmt für den Verfassungsentwurf (zwischen 53 und 56 % Ja-Stimmen nach inoffiziellen Ergebnissen des ersten Wahldurchgangs; wenn auch im Verdacht von Wahlfälschungen).

Die ägyptische Gesellschaft ist tief gespalten – und es ist auch eine tiefe soziale Spaltung. Wer die Klubs der Elite in Kairo kennt mit ihren riesigen Flächen mitten im Stadtzentrum (z.B. in Muhandesin und Zamalek) und zugleich die Armut in den Randgebieten der Stadt, in Gizeh, Shubra und anderen Gebieten weiß, dass es hier nicht nur um religiöse Fragen geht. Und das Dorf und seine traditionelle Lebensweise ist auch mitten in Kairo vertreten. Ich habe Ziegenherden mitten in der Stadt gesehen in Resten von eingemeindeten Dörfern.

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Kairo

Die Entwicklung in Ägypten im sogenannten „Arabischen Frühling“ war von Anfang an der Kampf zwischen drei verschiedenen Lagern: Auf der einen Seite das System mit seinem Machtapparat, dem militärisch-industriellen Komplex, den Abhängigkeiten und Netzwerken. Auf der anderen Seite die moderne Opposition der Mittelschichten, Säkularen Jugend und aller, die ein Ende der Korruption und Unterdrückung wollten, die ihre sozialen Forderungen durchsetzen wollten und ein Ende von Armut und Perspektivlosigkeit.

Salafisten und Moslembrüder auf einer Demonstration zur Unterstützung des Verfassungsentwurfs Und daneben Organisationen wie die Moslembrüder, die seit langem als Opposition gegen das Regime agierten, die mit ihrer Art der sozialen Arbeit eine umfassende Organisation aufbauten und in Teilen der ägyptischen Gesellschaft stark verankert sind. Mursi kann für sich immerhin in Anspruch nehmen, dass er unter Mubarak im Gefängnis saß – anders als die neuen Führer der Opposition wie El-Baradei und Amr Musa.

Zu Beginn des Aufstands in Ägypten kam die Politik der Moslembrüder massiv unter Druck. Sie mussten sich, ob sie wollten oder nicht, dem Aufstand anschliessen. Teile der Organisation spalteten sich ab, die Jugendorganisation suchte nach neuen Wegen.

Das Ende des Frühlings kam bald. Mubarak musste gehen; viele kleine Mubaraks in Verwaltungen und Betrieben mussten gehen; Arbeitskämpfe fanden statt - aber das System wurde nicht gestürzt. Nicht zuletzt wegen der Politik der Moslembrüder, die am Ende für „Ordnung statt Chaos“ eintraten. Politisch, militärisch und finanziell unterstützt von den USA und den Golfstaaten, wurden die reaktionärsten Kräfte in Ägypten zumindest in den Wahlen gestärkt.

Robert Fisk hatte einmal beschr ieben, wie sehr die ägyptische Regierung sich geirrt habe:

So wie die Viktorianischen Regierungen immer die Revolution aus den Slums von London, Manchester und Liverpool gefürchtet hatten, so hat die ägyptische Regierung die Slums mit einem Netz von Geheimdiensten überzogen, um sicherzustellen, dass keine ernsthafte Opposition im Schmutz und der Frömmigkeit von Kairo entstehen kann.
http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/egyptians-prepare-for-life-after-mubarak-2060150.html

Stattdessen sei die Revolution aus den städtischen Zentren und den gebildeten Schichten gekommen. Heute zeigt sich: Ein großer Teil derer, die Mubarak gestürzt haben, ist eben doch aus dem Schmutz und der Frömmigkeit der Slums von Kairo und Alexandria gekommen. Und zum Beispiel aus den Gebieten, wo die Armut so groß ist, dass die Familien die Mädchen noch als Kinder verkaufen.

Kräfteverhältnis

Nach dem Rücktritt Mubaraks gab es 2011 viele Anlässe, weswegen die Opposition zu neuen Demonstrationen auf den Tahrir aufrief. In vielen Fällen ohne einen nennenswerten Widerhall zu finden. Schon die Abstimmung über die Verfassungsänderung 2011 brachte eine Niederlage. Die Opposition war mit ihrer Forderung, die neue Verfassung abzulehnen, weil sie nur kosmetische Verschönerungen an der alten Verfassung darstellte, klar gescheitert. Im Grunde nahm diese Abstimmung die Ergebnisse der Parlamentswahlen bereits vorweg.

Dank Mursi und seinem Versuch, in einem Handstreich die Macht zu ergreifen, ist die Opposition erneut und massiv in Erscheinung getreten. Dennoch zeichnet sich in den inoffiziellen Ergebnissen des ersten Wahldurchgangs eine Mehrheit für die Annahme der Verfassung ab. Das dürfte sich im zweiten Durchgang eher noch verstärken.

Heilige Allianz

Unabhängig von der Frage nach konkreten Wahlfälschungen stand die Opposition vor allem vor zwei Widerständen: Der Tatsache, dass die Moslembrüder über ihre Arbeit und ihre gesellschaftlichen Vorstellungen einen klaren Rückhalt bei Teilen der Bevölkerung geniessen. Und der heiligen Allianz aus Teilen des alten Systems, den Muslimbrüdern und ihren internationalen Unterstützern: USA und Saudi Arabien.

Saudi Arabien unterstützte seit Beginn des Umsturzes in Ägypten die reaktionärsten Kräfte der Salafisten, der Hisb An-Nur. Und die USA machen aus ihrer Unterstützung für die konservativen Kräfte der Moslembrüder kein Hehl. Ordnung statt Chaos, das ist ein Slogan, der sehr gut in die Naost-Politik der USA passt.

Von Beginn der Proteste gegen den Verfassungsentwurf erklärte die US-Regierung ihre Unterstützung für das Referendum (an dessen Ausgang von vornherein wenig Zweifel bestanden).

Wenn Präsident Mursi die Verfassung unterstützt, hat das Volk von Ägypten eine Chance, seine eigene Sicht zum Ausdruck zu bringen, sagte die Sprecherin des Außenministeriums Victoria Nuland. Wir fordern alle Ägypter auf, sich aktv daran zu beteiligen, den Vorschlag zu prüfen ob er ihren höchsten Anforderungen gerecht wird...
Washington Post, 01.Dezember 2012

Der Sprecher des amerikanischen Präsidenten erklärte:

...letzten Endes liegt es am ägyptischen Volk, über den Verfassungsentwurf zu entscheiden. ..Es ist wichtig, dass sie eine möglichkeit haben, ihre Meinung friedlich zum Ausdruck zu bringen.
http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2012/12/201514.htm#EGYPT2

Und auf die Nachfrage eines Journalisten, ob Mursi mit dem Dekret, das ihm volle Machtbefugnisse gegeben hatte, nicht die Legitimität des Referendums untergraben habe:

...es ist eine schwierige Zeit für Ägypten.Wir wollen, dass der politische Übergang erfolgreich wird. Es liegt am ägyptischen Volk zu entscheiden, wie der Übergangsprozess aussehen soll. Wir wollen einen Dialog ohne Vorbedingungen.
Frage: Wollen Sie damit sagen, die Forderung der Opposition, Mursi solle seine Dekrete zurücknehmen, bevor ein Dialog möglich sei, ist falsch?
Antwort: Ohne Vorbedingung heißt ohne Vorbedingung
Frage: Also unterstützen Sie Mursis Position?
http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2012/12/201670.htm#EGYPT

Der Sprecher des Präsidenten muss auf die letzte Frage keine Antwort geben. Zu offensichtlich ist die Unterstützung für Stabilität und Ordnung in Ägypten, gestützt auf Moslembrüder (und Armee). Es passt in die aktuelle Politik der USA im Nahen Osten: Bildung einer Heiligen Allianz mit den konservativen, auf Ruhe und Ordnung bedachten Organisationen der Moslembrüder. Und wo nötig auch Unterstützung für die extremen Gruppen in ihrem bewaffneten Kampf, wie in Libyen und Syrien.

Während die Demonstranten auf dem Tahrir gegen den Verfassungssentwurf kämpfen, besucht eine Delegation der Moslembrüder Washington für politische Gespräche.

Damaskus

Am 01.12. 2012 gab es eine große Demonstration der Moslembrüder in Kairo und es ist eine kleine Ironie der Geschichte, dass diese Demonstration genau dort statt fand, wo Obama 2009 seine „große“ Rede gehalten hat. Sicher weit über 100.000 oder vielleicht mehrere Hunderttausend Demonstranten folgten dem Ruf der Moslembrüder und Salafisten, ihre Unterstützung für den Verfassungsentwurf zum Ausdruck zu bringen. Manche Medien wollten diese Demonstration relativieren, indem sie erklärten, viele der Demonstranten seien mit Bussen aus dem Umland und den Dörfern nach Kairo gebracht worden. Dabei ist genau dies das Problem: Der Kampf konservativer ländlichen Gebiete gegen die Globalisierung, der zum Kampf gegen die städtische "Moderne" wird.

Eine ganz ähnliche Spaltung zwischen Stadt und Land wie in Ägypten gibt es auch in Syrien. In Kairo sind es die internationalen Konzerne und die politischen, sozialen und kulturellen Subkulturen, die die Stadt in ihrem Zentrum prägen und vom Land trennen (neben der Darstellung von Macht, Geld und Einfluss durch die Eliten in ihren Klubs natürlich). In Syrien ist es das europäische Gepräge der Städte, das laissez-faire und natürlich die Diskrepanz zwischen Reichtum und Armut(die hier aber bei weitem nicht so in den Vordergrund trat wie in Kairo).

In Ägypten versuchen die konservativen Schichten der Slums und der Dörfer, den Staat zu prägen. In Syrien sind es die gleichen dörflichen Schichten (mit Unterstützung der NATO und der Golfstaaten und ihrer Söldner), die Angriffe gegen die Städte wie Aleppo führen. Das hat Robert Fisk im Guardian berichtet, die New York Times und - wie ich mir habe sagen lassen - sogar die TAZ. Die darüber frohlockt hat.

Die syrische Regierung setzt große Hoffnungen auf die Opposition in Ägypten. Die Medien sind voller Berichte über den Kampf gegen den "Neuen Pharao". Eine Niederlage der Salafisten und der Moslembrüder in Ägypten würde deren Position auch in Syrien schwächen.

Diese Hoffnungen sind wohl vergebens. Angesichts der massiven Unterstützung der Islamisten bei der Umgestaltung des Nahen Ostens durch die NATO und die Golfstaaten scheint eine echte Herausforderung ihrer Macht in Ägypten heute unwahrscheinlich.

In einem Artikel in der US-Amerikanischen Zeitschrift "The Nation" heißt es:

Als die Proteste gegen Assad noch relativ friedlich waren und die Repression des Regimes begrenzt, und als gemäßigte, establishment-nahe und nicht islamische Oppositionspolitiker an Einfluss gewannen, ergriff Obama Partei und verlangte den Rücktritt von Assad.Das war dumm genug. Seither hat er die ausländischen Feinde Assads noch bestärkt...

Die USA verfolgen eine klare Strategie im Nahen Osten: Massive Unterstützung der konservativen Moslembrüder (und die ägyptische Armee für den Notfall bereit) von Tunesien und Libyen über Ägypten bis nach Syrien. Und wenn nötig auch Unterstützung der islamischen Fundamentalisten, wie es in Libyen der Fall war und in Syrien der Fall ist.

Manche deutsche Linke tun sich da schwerer, wenn sie glänzende Augen bekommen, sobald sie vom Kampf der ägyptischen Opposition gegen die Moslembrüder hören; und genauso glänzende Augen, wenn sie von den Moslembrüdern in Syrien hören, die den syrischen Staat bekämpfen.



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