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Syrien 2013: Einigung...oder Syrien wird zur Hölle, 02.01.2013

Aus dem Atelier von Mustafa Ali, Damaskus Der Sondergesandte der UN für die Situation in Syrien, Brahimi, erklärte auf einer Pressekonferenz in Kairo: entweder wir finden bald eine Lösungfür die Probleme in Syrien, die den Interessen der Syrer gerecht wird, oder Syrien wird zur Hölle. Und er fügte hinzu: eine solche Lösung sei sehr wohl in greifbarer Nähe. Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und die Regierungen der Region hätten die Grundlagen einer solchen Lösung schon längst formuliert: Waffenstillstand, Bildung einer Übergangsregierung, Vorbereitung von Wahlen. Um das zu verstehen, muss man freilich ein halbes Jahr zurückblicken.

Genf, Juni 2012: eine eigenartige Konferenz

Tatsächlich gab es im Juni 2012 in Genf eine internationale Konferenz zu Syrien mit dem von Brahimi erwähnten Ergebnis:

In einem letzten Versuch, die Eskalation der Gewalt in Syrien zu stoppen, hat sich eine internationale Konferenz auf die Bildung einer Übergangsregierung verständigt. Die Regierung, der Vertreter des Regimes und der Opposition angehören sollen, soll über umfassende exekutive Vollmachten verfügen und freie Wahlen vorbereiten. Rasche Schritte seien für eine Einigung nun erforderlich, sagte der UN-Syrienbeauftragte Kofi Annan, auf dessen Initiative das Treffen in Genf zustande gekommen war. Es liege am syrischen Volk, zu einer politischen Übereinkunft zu gelangen. Die Zeit dazu dränge.
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/syrien-konferenz-opposition-lehnt-genfer-plan-ab-11805281.html

Wie konnte es dazu kommen, dass Russland und die USA sich in Genf auf die Bildung einer Übergangsregierung einigen konnten, unter Einschluss der jetzigen Regierung Syriens wohl gemerkt. Und scheinbar mühelos, nachdem zuvor monatelang alle Verhandlungen gescheitert waren? Und wie konnte diese Einigung danach so schnell, sang- und klanglos für Monate in Vergessenheit geraten?

Ein Blick auf den Kalender gibt die Antwort auf beide Fragen. Die Konferenz fand am 30.06.2012 statt - nur zwei Wochen vor dem Beginn der 'Operation Vulkan Damaskus'. Dies war der Angriff, in dem zunächst die Mitglieder des syrischen Sicherheitskabinetts einem Bombenanschlag zum Opfer fielen, gefolgt von einem massiven Angriff auf Damaskus und Aleppo. Die amerikanische Regierung wusste von den Planungen zu diesem Angriff – oder hat ihn selbst geplant. Deshalb hatte die amerikanische Seite keine Einwände gegen eine Übergangsregierung - aber mit Sicherheit ihre eigenen Vorstellungen davon, wie sie aussehen sollte: sie erwartete eine Regierung der siegreichen Moslembrüder, in die die Reste des Systems eingegliedert werden sollten. Wie wir wissen kam es ganz anders und das Abkommen von Genf geriet in Vergessenheit.

Widerstände

Die Situation der Akteure in und um Syrien ist in einer Weise verstrickt, dass man nicht einfach sagen kann, die Zeit arbeite für die eine oder andere Seite. Die beharrliche Weigerung Syriens, einfach im Chaos zu versinken, setzt alle Akteure unter Druck.

- Die Entwicklungen in Ägypten machen immer deutlicher, dass es heute im Nahen Osten und Nordafrika nicht um linke westliche Träume der Befreiung von Diktatoren geht, sondern um den Versuch der Machtergreifung durch extrem konservative Gruppen im Auftrag der reaktionärsten Regierungen der Region.
- Der Versuch den Nahen Osten umzustrukturieren wurde in amerikanischen Regierungskreisen schon vor mehr als 5 Jahren diskutiert (dokumentiert in einem Artikel des 'New Yorker' aus dem Jahr 2007: http://www.newyorker.com/reporting/2007/03/05/070305fa_fact_hersh). Mit dem Arabischen Frühling wurde begonnen, die Umstrukturierung umzusetzen. Die USA setzten auf konservative sunnitische Kräfte – wie zum Beispiel Mursi und die Moslembrüder in Ägypten - als Gegengewicht gegen den zunehmenden Einfluss des Iran. Je länger jedoch der Konflikt in Syrien andauert, umso mehr setzen sich die extremsten bewaffneten Kräfte durch, die auch von den USA kaum zu kontrollieren sein werden.
- Die türkische Regierung steht schon lange unter Druck durch die türkische Friedensbewegung und Teile der arabischen Minderheiten, die sich dem Vorgehen der Regierung gegenüber Syrien widersetzen.
- Saudi-Arabien hat eigene Probleme mit der schiitischen Minderheit, die ausgerechnet in den ölreichen Gebieten des Landes lebt.
- Die Auseinandersetzungen in Bahrain, der Kampf der Shiiten um ihre politischen Rechte, dauert unvermindert an.
- Die Situation der syrischen Regierung wird schwieriger, je länger der Konflikt, das Blutvergießen, die Sanktionen und die Zerstörung der Infrakstruktur andauern. Die Ressourcen schwinden, die Preise steigen, Vorwürfe der Korruption werden weithin erhoben - und doch wird bisher jedes zerstörte Kraftwerk und jede zerstörte Umspannstation wieder aufgebaut, die Versorgung mit Diesel, Gas und Grundnahrungsmitteln wird wenigstens in den Städten irgendwie aufrechterhalten, wenn auch mit Schwierigkeiten und unter ständiger öffentlicher Diskussion. Schulen werden wieder aufgebaut, Bäume werden angepflanzt – und die syrische Regierung erklärt sich zu jedem Kompromiss bereit. Das stärkt die Position der syrischen Regierung, nicht nur in Syrien und im Libanon, sondern auch anderen arabischen Ländern.

Wiederbelebungsversuch

Ob es einen Waffenstillstand gibt; ob nicht vielmehr alles so weitergeht wie bisher; ob Syrien doch noch im Chaos versinkt und die Hölle losbricht; ob der Nahe Osten insgesamt im Chaos versinkt oder gar die NATO selbst angreift - das ist vollkommen unabsehbar. Und obwohl das Gerede vom unmittelbar bevorstehenden Sturz Assads seit fast zwei Jahren immer wieder folgenlos wiederholt wird – noch nicht einmal das lässt sich ausschließen.

In dieser Situation stehen alle Akteure unter Druck. Für alle ist die Durchsetzung ihrer Ziele mehr als ungewiss, und vielleicht ist gerade das eine Voraussetzung für echte Verhandlungen. Brahimi und das russische Außenministerium sprechen davon, dass es im Januar zu einer Konferenz auf der Grundlage der Ergebnisse von Genf kommen kann.Teilnehmen sollen Brahimi sebst, Vertreter der USA und Russlands und erneut soll die Bildung einer Übergangsregierung erreicht werden.

Man sollte die Möglichkeit einer Einigung in einer solchen Konferenz nicht von vornherein abschreiben, zumal mit dem Wechsel im amerikanischen Außenministerium und mit dem Weggang von H. Clinton eine Änderung der Politik denkbar erscheint. Und immerhin stimmt jetzt auch das oppositionelle Nationale Organisationskomitee einer solchen Konferenz zu - und verlangt vor allen von den Bewaffneten, eine mögliche Übergangsregierung anzuerkennen.(http://www.kassioun.org/index.php?mode=article&id=22373) Aber ob sich daraus wirklich eine Lösung ergibt, die den Interessen der Syrer Rechnung trägt, ist fraglich.

Wer sollte denn neben den Vertretern des Regimes die Übergangsregierung bilden? Die Moslembrüder, die dem Beispiel Mursis folgen wollen? Die zersplitterte syrische politische Opposition, die zum Teil noch nicht einmal in Verhandlungen mit der Regierung eintreten will? Oder sollen gar die Salafisten, die militärisch nicht siegreich sind jetzt auf diesem Weg einen Erfolg erzielen? Ist es vorstellbar, dass die USA heute einer Vereinbarung zustimmen, die vor einem halben Jahr unter ganz anderen Erwartungen abgeschlossen wurde und ihre Kräfte, die in Syrien kämpfen, zum Waffenstillstand auffordern? Dass die NATO ihre militärischen Drohungen zurück nimmt?

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Nein zum Krieg

Die Syrer wollen diesen Krieg nicht, in dem Zehntausende von Menschen getötet und verletzt werden, in dem Stadtteil um Stadtteil in Schutt und Asche gelegt wird, in dem die Infrakstruktur zerstört wird und Schulen und Krankenhäuser geplündert werden. Und die Mehrheit der Syrer will mit Sicherheit nicht die Herrschaft salafistischer Extremisten oder auch nur der Moslembrüder. Die Entwicklungen in Ägypten sind ein warnendes Beispiel.

Linke in Deutschland tun sich schwer mit Syrien. Warum auch nicht. Wer das Land und seine Geschichte nicht kennt, wird auch die Probleme und Entwicklungsmöglichkeiten des Landes nicht kennen. Und es gab schon immer viele Probleme und verpasste Chancen in Syrien. Es gibt viele Unterschiedliche Interessen und Ansichten, unkontrollierte Machtstrukturen und das Land umfasst so unterschiedliche Gebiete von europäisch anmutenden Städten bis hin zu Dörfern mit längst überholten Strukturen, dass viele Sichtweisen möglich sind.

Für jeden, der nicht klammheimlich oder offen davon träumt, die NATO in Verbindung mit den bewaffneten Moslembrüdern würde Frieden und Demokratie nach Syrien bringen, sollte eines glasklar sein: nur in einem politischen Prozess können die Syrer selbst über ihre Zukunft entscheiden.

Der größere Teil der Friedensbewegung und der Linken in Deutschland hat lange genug die Augen geschlossen vor den Entwicklungen in Syrien. Es wird Zeit, dass wir die Augen öffnen, und zum Glück kommt ja einiges in Bewegung:

- Das Komitee für Grundrechte und Demokratie zieht sich aus dem Unterstützerbündnis der Kampagne „Adopt a Revolution“ zurück
- Alfred Grosser zieht Unterschrift unter einen offenen Brief an den syrischen Präsidenten zurück
- Aus Zweifel an den friedlichen Absichten der Initiatoren hat Konstantin Wecker seine Unterschrift zu einem von den Organisationen "medico international" und "Adopt a Revolution" initiierten Aufruf zur Unterstützung der zivilen Opposition in Syrien wieder zurückgezogen.

Alles, was einmal an berechtigen politischen Forderungen in Syrien formuliert wurde, ist schon längst beiseite geräumt von den bewaffneten Aufständischen, angeführt von Moslembrüdern und Salafisten, die das Land zerstören und die dabei unterstützt werden mit Geld aus Saudi-Arabien und Katar, mit Waffen, die von den USA organisiert werden. Die durch die NATO ausgerüstet werden, denen die Türkei Rückzugräume und Training bietet und die Bundeswehr Informationen.

Nur die Syrer selbst können in einem politischen Prozess über ihre Zukunft entscheiden – die erste Voraussetzung dazu ist ein Ende des Mordens und der Zerstörung der Infrastruktur. Und deshalb müssen wir ein Ende der ausländischen Unterstützung für die Aufständischen fordern: ein Ende der militärischen, finanziellen, logistischen Unterstützung, ein Ende des Trainings, der Ausrüstung und der Versorgung mit Informationen.

Ohne Wenn und Aber.



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