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Hearts and Minds, 25.01.2013

Damaskus, April 2012Am 11. Januar fand in Genf ein Treffen zwischen dem russischen Sondergesandten für den Nahen Osten, M. Bogdanov, dem US-Amerikanischen stellvertretenden Außenminister W. Burns und dem Sondergesandten der UN für Syrien, L. Brahimi statt. Insbesondere die russische Seite hatte versucht, die Ergebnisse der internationalen Konferenz zu Syrien die im Juni 2012 ebenfalls in Genf stattgefunden hatte, mit neuem Leben zu erfüllen. Nicht unerwartet, aber überraschend deutlich ist das Treffen ohne jedes Ergebnis auseinandergegangen. Neben vielen schönen Worten sagte der russische Aussenminister zur Übereinkunft von Genf:

Leider erfüllen unsere westlichen Partner nicht ihre Verpflichtungen und zählen ausschliesslich auf einen Sieg der Opposition…
http://www.mid.ru/bdomp/brp_4.nsf/e78a48070f128a7b43256999005bcbb3
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Und der Premier- und Außenminister von Katar, Hamad bin Jassim al-Thani, sprach sich erneut für ein direktes militärisches Eingreifen arabischer Staaten in Syrien aus.

"Die Araber müssen ernsthaft darüber nachdenken, die Sicherheit in Syrien wieder herzustellen, wenn die diplomatischen Bemühungen erfolglos bleiben… Der Golf-Staat Quatar, der die Rebellen unterstützt, die Assad stürzen wollen, machte einen ähnlichen Vorschlag bereits im September 2012."
http://www.reuters.com/article/2013/01/12/us-syria-crisis-qatar-idUSBRE90B0EM20130112

Shock and Awe...

Shock and Awe (S&A) (engl. "Schrecken und Ehrfurcht") bezeichnet eine Taktik, deren Ziel es ist, durch eine oder mehrere auf Schockwirkung ausgelegte militärische Maßnahme(n) den Gegner so zu verunsichern, dass es zu keinen nennenswerten Verteidigungsmaßnahmen kommt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Shock_and_Awe

Vom ersten Tag der Unruhen in Daraa im März 2011 an begannen die NATO-Staaten eine Kampagne von "Shock and Awe" gegen Syrien. Kontaktsperre gegenüber der syrischen Regierung, eine in ihrer Einseitigkeit und Voreingenommenheit vorher kaum gekannte arabische und Internationale Medienkampagne, Einschränkung der Reisemöglichkeiten, die Verhängung von Sanktionen - all das diente nur einem Zweck. Jedem Syrer und jeder Syrerin, ob Anhänger der Regierung oder der Opposition, soll eingebleut werden: Solange Assad nicht gestürzt ist, gibt es keine Hoffnung auf Verhandlungen, keine Aussicht auf Besserung, keinen Frieden. (Das ist übrigens weitgehend eine Wiederholung dessen, was in Gaza geschieht.)

Wenn nun der Außenminister von Katar erneut mit direktem militärischem Eingreifen arabischer Staaten droht, mag man es wohl zunächst einmal auch in die Kategorie "Shock and Awe" einordnen. Weitere Vertreter der Regierung sollen eingeschüchtert und zum Überlaufen veranlasst werden, eine Drohung nach dem Motto: Selbst wenn es euch gelingen würde, die FSA und die ausländischen Söldner zu besiegen, habt ihr keine Hoffnung auf Frieden, weil wir dann selbst eingreifen.

Übergang

Spätestens mit der Rede des syrischen Präsidenten Asad in der Universität von Damaskus im Sommer 2011 wurde deutlich, dass die syrische Regierung versuchte, mit Reformversprechen und Reformen, mit Verhandlungen und Kompromissbereitschaft den Aufstand zu beenden. Und seit damals ist viel geschehen. Es gibt ein neues Wahlrecht, ein neues Parteiengesetz, es gab das Referendum und die neue Verfassung, es gab Wahlen zum Parlament, offenere Medien. All das wurde in den NATO-Staaten, bedingt durch Kontaktsperre und Medienkampagne, wenig beachtet. Dort wurde nur über die bewaffneten Auseinandersetzungen berichtet.

Der Übergangsprozess, wie er im Juni 2012 in Genf formuliert wurde, wurde von der syrischen Regierung grundsätzlich akzeptiert.

Die Haltung der Regierung zu einem solchen Übergangsprozess wurde vom syrischen Präsidenten Assad vor einer großen Menge von Zuhörern im Opernhaus von Damaskus Anfang Januar dargelegt. Die Regierung ist bereit, Wahlrecht, Parteiengesetz und Verfassung erneut zu überarbeiten. Eine Übergangsregierung soll allgemeine Wahlen vorbereiten. Diese Vorschläge wurden später von Außenminister Moallem in einem Interview mit dem syrischen Fernsehen (http://www.alwatan.sy/pdf/?isue=1573) weiter erläutert.

Erneut soll in einem Dialog mit allen Kräften der Opposition, die dazu bereit sind, ein Verfassungsentwurf ausgearbeitet werden, der dann zur Abstimmung in einem Referendum vorgelegt werden soll. Ein Komitee der Regierung soll den Dialog mit allen Kräften der Opposition voranbringen, die gegen ausländische Intervention und Gewalt sind. Das Innenministerium garantiert den Kräften der Opposition, die aus dem Ausland zu den Gesprächen anreisen, Sicherheit und Unverletztlichkeit. Selbst wenn die Gewalt, die von außen angefacht wird, nicht aufhört, soll der Dialog dennoch stattfinden. Aus dem Dialog soll eine breite Regierung hervorgehen, die allgemeine Wahlen vorbereiten soll.

Papier ist geduldig?

Gerade die Schwierigkeiten und Probleme bei der Umsetzung von Reformen und politischen Veränderungen zeigen, dass es nicht nur um papierene Erklärungen geht. Rein propagandistische Reformen brauchen keine Überprüfung, keine Nachbesserung und vor allem keine Widerstände.

So berichtete Quadri Jamil – heute neben Ali Haidar als Vertreter eines Teils der syrischen Opposition mit in der Regierung - in einem Interview mit "Syria Today" über Wahlfäschungen, die bei den letzten Parlamentswahlen aufgetreten waren – und über die Einsprüche, die bei der Wahlkomission erhoben wurden und in vielen Fällen zu Wahlwiederholungen geführt haben.

"Breaking News", eine offizielle syrische Website berichtet über die Widerstände gegen Reformen in der Handelskammer von Damaskus. Der neue Vorstand konnte sein Arbeitsprogramm nicht umsetzen, weil die alten Strukturen dem noch entgegenstehen. (http://breakingnews.sy/en/article/8048.html)

Und vor allem: Die Gefangenen, Entführten, Verschwundenen.

Von Anfang an war dies eines der größten Probleme: willkürliche Verhaftungen durch die Sicherheitsorgane. Assad sprach das Thema in seiner Rede im Sommer 2011 an. Tausende Verhafteter wurden mittlerweile im Rahmen der internationalen Beobachtermissionen freigelassen - und immer noch ist das Problem nicht abschließend geklärt.

Und es wird nicht einfach unter den Teppich gekehrt. Es wird in der Presse angesprochen und auf Versammlungen thematisiert, eine Lösung wird – wenn auch viel zu langsam – umgesetzt.

SANA berichtet von den Versöhnungskonferenzen mit Minister Ali Haidar, in denen immer wieder die Freilassung derer gefordert wird, "die kein syrisches Blut vergossen haben".

Der Minister für Versöhnung, Ali Haidar, der als Vertreter einer oppositionellen Partei in die Regierung eingetreten ist, sprach in einem Interview mit Junge Welt (http://www.jungewelt.de/2012/08-18/001.php) davon, wie sein Ministerium versucht, Strukturen und Prozesse aufzubauen, damit Festgenommene entweder vor Gericht gestellt oder eben freigelassen werden.

Und zu diesem Thema gibt es nun einen neuen Erlass des syrischen Justizministers:

Der Justizminister, Dr. Najm Hamad al-Ahmad, rief alle zuständigen Gerichte dazu auf, das Vorgehen gemäß Verfassung und Gesetzen zu beschleunigen und diejenigen zu entlassen, deren Schuld nicht bewiesen ist.Der Minister wies die zuständigenBehörden an, die Umsetzung dieses Rundschreibens zu überwachen.
http://www.syriaonline.sy/?f=Details&catid=12&pageid=4778

Krieg

Damaskus, April 2012 Syrien ist im Krieg. Stadtteil für Stadtteil wird zerstört. Täglich wird die Infrastruktur, werden Strom-, Gas- und Wasserversorgung, Schulen und Krankenhäuser angegriffen – und dennoch wird versucht, Institutionen und Prozesse um- und aufzubauen, gewiss zu langsam und gegen viel Widerstand. Statt das Kriegsrecht zu verhängen gibt sich die Regierung kompromissbereit, bietet Gespräche, Verhandlungen, Garantien, einen Übergangsprozess an; es gibt eine Vielzahl von Parteien jeglicher Couleur, Pressekonferenzen. Dies ist auch ein Kampf um "Hearts and Minds" - den die Regierung vielleicht gewinnt.

Die Washington Post zitiert ein Mitglied der aufständischen FSA mit den Worten: "Assad ist zuversichtlich, weil er weiß, dass wir an öffentlicher Unterstützung verlieren..." – allerdings in einem Kontext, der die Bedeutung dieser Aussage herab setzen soll. http://www.washingtonpost.com/world/assad-still-confident-that-he-control-syria/2013/01/12/2e24a62e-5d01-11e2-b8b2-0d18a64c8dfa_print.html

Und für kurze Zeit hatte die Los Angeles Times einen Bericht über einen enttäuschten Anhänger des Aufstands auf ihrer Website, in dem es unter anderem (und neben einer sehr negativen Sicht auf Syrien) hieß:

Bis zu diesem Moment (als Bewaffnete den Bus, in dem er saß überfielen) hatte Ahmed – ein Student der Journalistik an der Universität von Damaskus – an die Revolution geglaubt. Aber als er die Soldaten der Rebellen beobachtete (die verlangten, dass die Frauen Schleier anlegen sollten), sah er seine Träume von einem demokratischen Syrien von Extremisten gekapert. Für Ahmed war, zumindest für den Moment, die Revolution vorüber.
(Ich habe diesen Bericht vor ein paar Tagen bei Los Angeles Times gelesen, er scheint jetzt aber entfernt zu sein)

Kein zurück

Ein Zurück ist überhaupt nicht mehr möglich.

Die Konferenz von Genf im Juni 2012 hatte ein Ergebnis, dem alle Seiten zugestimmt hatten; wenn auch der Westen und die Golfstaaten, wie wir heute wissen, nur deshalb zustimmten, weil sie ein unmittelbar bevorstehendes Ende von Assad im "Vulkan Damaskus" erwartet hatten.

Der russische Außenminister Lawrov erklärte in einem Interview mit Euronews TV die zentralen Punkte der Übereinkunft. Sie fordert Regierung und Opposition auf:

Kommt zu einer Übereinkunft, welchen Übergangsprozess euer Staat braucht, um von dem früheren System zu einem neuen, demokratischeren und offeneren System zu kommen...Alle Seiten sollen das Feuer einstellen und ihre Delegierten für Verhandlungen benennen... Leider erfüllen unsere westlichen Partner nicht ihre Verpflichtungen und zählen ausschliesslich auf einen Sieg der Opposition
http://www.mid.ru/bdomp/brp_4.nsf/e78a48070f128a7b43256999005bcbb3/
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Seit Jahren unterstützen die USA die Moslembrüder in ihrem Kampf. Neben Seymour Hersh (http://www.newyorker.com/reporting/2007/03/05/070305fa_fact_hersh )berichtete auch das "Wall Street Journal" schon im Jahr 2007 darüber (http://online.wsj.com/article/SB118530969571176579.html)

Entweder Syrien wird von den Islamisten zerstört, die vom Westen und den Diktaturen der Golfstaaten angefeuert, bewaffnet und bezahlt werden. Oder es kommt zu einem Übergang im Rahmen staatlicher Strukturen. Ein Zurück ist nicht mehr möglich.

Spätestens mit dem Angriff auf Libyen haben NATO und Golfstaaten die arabische Revolution 'adoptiert' (wie die "Junge Welt" zu recht schrieb). Die gleichen Kräfte, die den ägyptischen Präsidenten Mursi untersützen in seinem Versuch, einen konservativen islamisch orientierten Staat zu etablieren, kämpfen in Syrien gegen die säkulare Gesellschaft. Und viele deutsche Linke haben allzu lange die Augen davor verschlossen.

Wer gegen die NATO-Unterstützung und Bewaffnung der Aufständischen und für das Recht der Syrer ist, über ihre Zukunft selbst zu bestimmen, ist deshalb nicht für Korruption, Intransparenz und Unterdrückung.

Im Gegenteil: wir wissen, dass eine Entwicklung hin zu einer demokratischeren und offeneren Gesellschaft nur möglich ist, wenn alle Seiten zu einem Waffenstillstand aufgefordert werden, wenn alle Seiten zu Verhandlungen gedrängt werden, wenn die Waffenlieferungen für die Aufständischen beendet werden und wenn ein Übergangsprozess initiiert wird. Alles andere führt nur zu mehr Blutvergießen, Chaos und Zerstörung - und das droht nach Libyen, Syrien und Mali auch anderen Ländern.

Protest

In der Türkei gibt es schon lange Proteste gegen den Kriegskurs der Regierung und jetzt insbesondere gegen die Stationierung der Patriot-Raketen. Es wird Zeit, dass auch hierzulande Proteste gegen die Patriot-Raketen und gegen die Unterstützung der NATO für die Islamisten in Syrien stattfinden. Gelegenheiten gibt es ausreichend.

Die erste Gelegenheit ist die Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz in München. Im Aufruf zur Demonstration heisst es unter anderem:

...Sie heucheln Betroffenheit über das Blutvergießen im Bürgerkrieg in Syrien und sind mit ihren Waffenlieferungen für die Rebellen selbst Teil dieser Kriegsverbrechen. Es geht dabei nicht um ein Ende des Blutvergießens, sondern um einen Regimewechsel in Syrien - auch als Vorbereitung eines Angriffs auf den Iran.
http://sicherheitskonferenz.de/de/Aufruf-2013-Gegen-die-SIKO

Weitere Gelegenheiten folgen: Ostermärsche, 1.Mai. Arbeiten wir daran, diese Gelegenheiten zu nutzen.


NACHTRAG, 25.01.2013
Gerade jetzt berichtet die Londoner Zeitung "Al Hayat" (http://alhayat.com/Details/475951) von einem bevorstehenden Treffen zwischen Obama und Putin, auf dem nach einer Lösung für Syrien gesucht werden soll.
Nachdem aber gerade eben erst das Treffen in Genf ohne jedes Ergebnis zu Ende ging, scheint es kaum denkbar, dass plötzlich alles anders wird.
Und zumal gerade heute der Pressesprecher des russischen Präsidenten, D. Peskov erklärte:

Wir sind fest überzeugt, dass der Plan, den Präsident Assad vorgelegt hat eine Fortsetzung der Gespräche von Genf darstellt und eine gute gute Grundlage bietet, zu einer Beilegung des Konflikts zu kommen.
http://english.ruvr.ru/2013_01_25/All-sides-of-the-Syrian-conflict-should-decide-the-countrys-future-Peskov/



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